»Wir sind oft unbefriedigt, weil
Wir übersicher witzeln.«
Joachim Ringelnatz
99,90 Euro – zu diesem Preis wird das Ringelnatz-Schmuckstück in Gestalt einer Ofenkachel derzeit angeboten. Es ist 1983 in limitierter Auflage hergestellt worden. Aufgelegt wurde es zu Ehren des 100. Geburtstages von Hans Gustav Bötticher, geboren im Wurzener Crostigall 14, den heute jedermann als Joachim Ringelnatz kennt. Gemeinsam verantwortet, so steht es auf der Rückseite, haben das Sammlerstück der Rat der Stadt Wurzen und die Zeitschrift „Der Rundblick“. Mit dieser Ausstellung hat sich der Wurzener Ringelnatzverein auf die Spur der Ringelnatz-Rarität begeben und nach Muster, Ursprung und Hersteller gefahndet.
Immer ist so eine Suche mit Gewinn und Verlust verbunden. Wer Zukunft will, muss seine Herkunft verstehen. Unsere Suche erwies sich als Suche nach den Menschen, die, wie wir, einem Dichter, den die Nazis als frivol und entartet betrachteten, dem sie ein Auftrittsverbot erteilten, selbstverständlich die Stange hielten. Und dabei begegnet man dem damaligen Museumsleiter Kurt Bergt, der schon zu Lebzeiten Hitlers unter dem Nationalsozialismus sorgsam alles sammelte, was Ringelnatz veröffentlichte.
Ringelnatz selbst hielt in Briefen seine Frau Muschelkalk an, ja auch das neue Werk an Kurt Bergt nach Wurzen zu schicken. Und er besuchte seinen Sammler in der Geburtsstadt persönlich. Dann entschwand er zum zweiten Male nach Leipzig, nicht ohne Seufzer über sein Heimatstädtchen „Wurzen?! Ach Du liebe Zeit, mein Wurzen!“.
Diese Treue in schwierigen Zeiten ließ Muschelkalk nach dem Tode von Ringelnatz darüber nachdenken, ob Wurzen nicht der geeignete Ort für den Nachlass des Dichters sei. Denn schon zu seinem 11. Todestag, am 17. November 1945, brachte Wurzen am Geburtshaus im Crostigall 14 eine Gedenktafel für den hier geborenen Hans Gustav Bötticher an. Die Teilung Deutschlands, die Gründung zweier deutscher Staaten teilte auch die Ringelnatzfreunde. 1977 ist Muschelkalk verstorben und der Nachlass liegt noch immer teilweise bei ihrem Sohn Norbert Gescher. Er ist inzwischen ein heiß umworbenes Kulturgut, an dem auch die Ringelnatzstiftung Cuxhaven/Göttingen großes Interesse zeigt.
Muschelkalk erlebte nicht mehr, was die Stadt Wurzen mit ihren Literaturfreunden zum 100. Geburtstag ihres literarisch noch immer hoch verehrten Ringelnatz auf die Beine stellte: Sie erwarb das Geburtshaus und fand in der Abteilung Kultur des Rates des Kreises Unterstützung für die Sanierung und Umgestaltung zu einem Kulturtreff mit dem Namen Ringelnatzhaus. Hier fanden Kulturbund, Club der Intelligenz, Urania und „Der Rundblick“ ein Zuhause und einen geistigen Treffpunkt, der bis heute nachwirkt. Es wurde der Ringelnatz-Brunnen auf dem Markt errichtet und, deshalb sind wir heute hier, die Idee zur Ringelnatzkachel geboren. Zur Vernissage hatten wir die Akteure unter uns, soweit sie noch am Leben und gesund sind: Manfred Müller vom Rundblick, Dr. Jürgen Bufe und Dr. Gero Grundmann vom Kulturbund. Gisela Mühlberg vom damaligen Rat des Kreises lässt alle hier herzlich grüßen, sie ist durch Krankheit verhindert und wäre gern dabei gewesen. Mir kommt beim Nachdenken über unsere Vorgänger in der Ringelnatz-Ehrung in Wurzen ein Ringelnatz Gedicht in den Kopf: Freunde, die wir nie erlebten. Darin heisst es:
Ach wie heiß mich das beschlich:
Dann und dann und da und dort
Ist ein Herz wie meins gewesen,
Still für sich.
Tröstliches Gefühl: Es dächte
Später wer so über mich. –
Keine aller Erdenmächte,
Wär sie noch so übermütig,
Kann uns trennen,
Die wir Gleiche sind zu nennen.
Denn wir waren nie gesellt,
Weil der Gott uns weise, gütig
Fern vonander aufgestellt,
Wissend um die Welt.
Und das ist wohl eine tiefe Voraussicht. Wissend um die Welt hat ein weiser Gott uns fern vonander aufgestellt. Denn hier ist ebenso über den Versuch zu berichten, nach der Wiedervereinigung 1990 Menschen von der Ringelnatz-Ehrung auszuschließen, die das Erbe in einer weit ärmeren Gesellschaft als heute hochhielten. So wurde Frau Mühlberg die Mitarbeit im Ringelnatz-Verein verwehrt. Das können wir heute nicht mehr verstehen und es ist uns peinlich. Und auch über den Versuch der Stadt Wurzen, das Ringelnatz-Geburtshaus zu verkaufen, muss hier gesprochen werden. In der vergangenen Woche schrieb die Journalistin Ulrike Gastmann in der Hamburger Wochenzeitschrift DIE ZEIT:
„Für mich war die versuchte Erhaltung des Ringelnatz-Hauses das eindrücklichste Signal gegen rechts, das eine Stadt zu setzen imstande war. Einem Dichter, den die Nazis als frivol und entartet betrachteten, dem sie ein Auftrittsverbot erteilten, selbstverständlich die Erinnerungsstange zu halten, das fand und finde ich groß. Eine Lichterkette der anderen, anhaltenderen Art.“
Angefangen mit Kurt Bergt ziehen wir hier alle eine Lichterkette durch die Zeiten. Die Ringelnatzkachel ist – wie die Tafel am Haus, der Brunnen am Markt, der Ringelnatzpfad – so ein Kettenglied.
Also zurück zur Kachel mit dem Ringelnatz-Porträt und Zeilen aus dem Gedicht „Ich habe dich so lieb“ – mit dem überwältigenden Versprechen „Ich würde dir ohne Bedenken eine Kachel aus meinem Ofen schenken“. Was für ein liebestolles Souvenir! Was für eine ringelnatz‘sche Idee, das Gedicht selbst in eine Ofenkachel zu verwandeln. Zwei der geistigen Väter haben auf der Kachel Spuren hinterlassen: Der Rat der Stadt Wurzen und die Heimatzeitschrift „Der Rundblick“. Und dank des Rundblicks wissen wir auch heute noch Bescheid über Künstlerin und Hersteller.
Irmgard Sander aus Colditz schuf das einprägsame Konterfrei des Künstlers als Relief auf der Vorderseite der Kachel. Ihr ist auch die aktuelle Ausstellung gewidmet und Prof. Jochen Ziska stellte zur Vernissage Leben und Werk der Künstlerin vor. Die Ausstellung zeigt auch Zeugnisse der zeichnerischen Annäherung der Künstlerin an den humorigen und weisen, poetischen und zutiefst anständigen Menschen und Dichter und Maler und Artisten Joachim Ringelnatz.
Prof. Ziska hat sich als Designer auf die Suche nach den Herstellern und dem Urmuster gemacht. Manfred Müller vom Rundblick war es vor 35 Jahren gelungen, die Mügelner Keramikwerke für die Produktion des ausgefallenen Erinnerungsstückes zu interessieren. Souvenirs sind nicht unbedingt Kern der Produktion der heutigen RUKA Ofenkeramik und Zubehör GmbH in Mügeln. Dennoch konnte man sich noch 2017 sehr gut an die Produktion der außergewöhnlichen Ofenkachel mit dem Ringelnatz-Konterfei erinnern. In der langjährigen Betriebsgeschichte der einstigen Ofen-, Porzellan- und Tonwarenfabrik seit 1895 hat sie einen Platz im Betriebsgedächtnis gefunden und trotz der Wendezeiten bewahrt. Ursprünglich gliederte sich die Mügelner Fabrik in eine Ofenabteilung und eine Wandplattenabteilung. Die keramischen Platten, so schrieb Maximillian Weber 1925 im Mügelner Heimatbuch „dienen der künstlerischen Ausschmückung des Hauses“. Die Kacheln waren ein wertvoller Exportartikel aus Mügeln und wurden „nach allen Erdteilen versandt“. Der Betrieb erwies sich deshalb als ganz der rechte Ort für die Produktion der Ringelnatz-Kachel. Der Rundblick hat dem Mügelner Betrieb eine grosse Reportage gewidmet, man kann sie bei uns in der Ausstellung nachlesen.
Bis heute qualifiziert sich das Mügelner Unternehmen für moderne Wohnkeramik, insbesondere Kachelöfen, Kachelkamine und Speicheröfen, die mit ihrem Design an die Wohnumgebung angepasst werden. Großflächige Designkeramik gehört deshalb zum Produktionsprofil. Leider schlug der Versuch fehl, mit der RUKA Ofenkeramik und Zubehör eine Neuauflage der Kachel zu erreichen. Beim Aufräumen nach dem Eigentümerwechsel wurde das Urmuster vernichtet. Und eine Neuauflage nach einem Abguss gelang nicht in der erforderlichen Qualität, so dass sich Prof. Ziska nach anderen Möglichkeiten umsah.
Er hat im Auftrag des Ringelnatz-Vereins die einzigartige Ofenkachel neu belebt. Sie wird als Einzelanfertigung immer ein seltenes Sammlerstück bleiben. Wir bedanken uns bei Familie Sander, besonders bei der Enkelin Jana, dass wir den Entwurf von Irmgard Sander weiter für das Ringelnatz-Geburtshaus nutzen dürfen. Wir als Ringelnatz-Verein sagen damit auch unseren Vorgängern hier im Hause danke und tun unser Bestes, damit die „Lichterkette der besonderen Art“ zu Ehre und Respekt für einen großen Künstler bis weit in die Zukunft reicht.
Doch nicht nur die Geschichte der Ofenkachel, sondern vor allem das nachgelassene künstlerische Werk ihrer Schöpferin Irmgard Sander ist Gegenstand der neuen Ausstellung im Ringelnatz-Geburtshaus im Crostigall 14
Dr. Viola Heß, Vorsitzende
Die Ausstellung wurde aufgrund guter Resonanz verlängert bis zum 31. Mai 2018 und ist geöffnet immer sonntags 14 bis 17 Uhr sowie 1 Stunde vor jeder Veranstaltung.
Der Joachim-Ringelnatz-Verein e.V. wurde 1992 in Wurzen (Sachsen) gegründet. Der Verein organisiert Kleinkunst, Ausstellungen, Vorträge, Lesungen und viele andere Veranstaltungen rund um Joachim Ringelnatz und dessen Geburtshaus in Wurzen sowie den alljährlichen RingelnatzSommer in Wurzen.
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