»Wir sind oft unbefriedigt, weil
Wir übersicher witzeln.«
Joachim Ringelnatz
Insgesamt neun außergewöhnliche Werke von und über Joachim Ringelnatz (Hans Bötticher, Wurzen 7.8.1883 – 17.11.1935, Ringelnatz, Berlin) aus Privatbesitz werden erstmals einer breiten Öffentlichkeit präsentiert.
Neben sieben von Ringelnatz gestalteten Werken aus den Jahren 1926 – 1932, zeigt die Ausstellung zudem sein außergewöhnliches literarisches Mappenwerk: „Janmaate – Toplastige Lieder“ (1922), mit Illustrationen von M. Pretzfelder sowie eine Porträtbüste (1923) von Ringelnatz aus Bronze, geschaffen von der Berliner Bildhauerin und Freundin Renée Sintenis.
Dass Joachim Ringelnatz auch in der Malerei und Grafik Erfolge feierte und rund 10 Jahre (von 1924-1934) trotz Weltwirtschaftskrise ein gutes Zubrot hatte, verdankte er nicht letztlich der im männlichen Familienzweig angelegten Doppelbegabung. Ähnlich wie sein Vater, Georg Bötticher, dem europaweit bekannten Musterzeichner und Chefdesigner der Tapetenfabrik in Wurzen, der in der zweiten Lebenshälfte als ein sachsenweit bekannter Mundartdichter publizierte, hatte Joachim Ringelnatz neben dem literarischen Talent ein bildnerisches Können vererbt bekommen.
Auslöser für Ringelnatz‘ Gemälde wie auch Gedichte waren seine Betrachtungen, Erkenntnissen und Empfindungen. Er stellte auch in seiner Malerei immer wieder Fragen – warum so viel Leid, Einsamkeit, Verlorenheit? Alles regte seine Phantasie an. Er malte als Kind, als Lehrling, als Seemann und als Dichter. Er malte nicht die Dinge sondern die Atmosphäre, den Zustand.
Er malte trotz fehlender konsequenter Ausbildung und trotz technischer Defizite, und es war ihm ernst damit.
Freunde und Förderer ermöglichten ihm sein zweites Talent auszuleben.
Dazu gehörte neben Anregungen anderer Künstler besonders Renée Sintenis, die ihn in die Berliner Szene einführte, Karl Hofer, Paul Wegener, Asta Nielsen und seine vielen Kontakte zur kreativen Intelligenz, zu Kunst- und Literaturliebhabern in nahezu allen größeren deutschen Städten, in denen er als Vortragskünstler auftrat.
Vor allem dem Kunsthändler und Galeristen Alfred Flechtheim verdankte Ringelnatz sehr viel.
Er entdeckte sehr rasch das Potential der in die Zeit passenden Ringelnatz-Gemälde und Grafiken.
Ohne direkte Vorbilder, kannte Ringelnatz die aktuellen Strömungen, Vereinigungen und Debatten von Dada bis zur sog. primitiven Kulturen Afrikas, Polynesiens, mit Kinder-Kunst, Kunst von Geisteskranken, mit volkstümlicher Kunst und Autodidaktischem.
Ringelnatz spannt seinen Bogen von der Romantik zum Expressionismus, dem magischen Realismus und der Neuen Sachlichkeit, zu Werken von C.D. Friedrich, Max Ernst bis Otto Dix, Gustav Wunderwald, Georg Schrimpf, André Derrain u.a.
Ringelnatz adaptierte, reflektierte, experimentierte und schuf so etwas Ur- Eigenes.
Als Maler, Zeichner und Dichter, Schriftsteller war er jedoch durch seine Engagements das Jahr über meist voll in Anspruch genommen. Dennoch recherchierte er für seine beiden Metiers. Gerade die Kunst von Geisteskranken interessierte ihn dabei besonders.
Sein malerisches Werk zu entschlüsseln ist oft erst auf den zweiten Blick möglich.
Seine Gemälde wirken zunächst „naiv“. Das wurde zu einer Art Markenzeichen, denn er beherrschte die Klaviatur der Naivität, ähnlich wie Paul Klee. Ringelnatz zeigt: Unendliche „leere“ Landschaften, „verrutschte“ Bildausschnitte, isolierte Figuren, Wege ins Nirgendwo, Himmel die lasten, erdrückende Horizonte, trotz Farbigkeit – Tristesse. Intellekt und Phantasie formten als Katalysatoren seine Inspirationen, Visionen und Halluzinationen.
Seine Sujets sind breit gefächert: Seestücke, Atmosphärisches, Exotisches, Bedrohliches, Todesahnung, Kinder, Tiere und immer wieder Landschaften in sowohl irrealer, fremdartiger, bizarrer als auch romantisierender Ausprägung. Als Seismograph seiner Zeit hatte er Antennen für alles Menschliche, Melancholische, Märchenhaft-Magische, für Einsamkeit, Verlorenheit, Tod, für alles Inhumane in einer skurrilen Wirklichkeit, für das Leben auf und hinter der Bühne der Großstadt.
Gedichte und Malereien treten in ein Wechselspiel.
Dr. Sabine Jung, Kuratorin, Leiterin des Kulturhistorischen Museums der Stadt Wurzen
Ausstellungseröffnung am
Donnerstag, dem 12. Mai 2016, 19 Uhr
Städtische Galerie Wurzen, Markt 1
Laufzeit 12.Mai – 7.August 2016
Öffnungszeiten: Do – So , 14-18 Uhr; 16.5.16 (Pfingstmontag) geschlossen
Eintritt