„Die Stunden, nicht die Tage,
sind die Stützpunkte unserer Erinnerung.“
Joachim Ringelnatz
Mehr als ein Jahr ruhen die Arbeiten am Ringelnatz-Geburtshaus. Der Anbau für Fahrstuhl, Rettungstreppe und Behindertentoiletten – Grundbedingung für eine gerechte kulturelle Teilhabe und die touristische Vermarktung – fand nicht die Zustimmung der Denkmalschutzbehörde. Diese plädierte vielmehr dafür, das Ringelnatzhaus als freistehendes Denkmal sichtbar zu machen. Dafür sollte auf die Nutzung des Dachgeschosses verzichtet werden, damit der Fahrstuhlschacht nur bis zum 1. Obergeschoss geführt werden müsse. Bis zur Lösung wurde ein Baustopp verhängt. Das Ergebnis für den Verein: Die für den Sommer 2020 zum Geburtstag von Ringelnatz geplante Eröffnung wurde auf unbestimmte Zeit verschoben.
Nun scheint auch für das Jahr 2021 die Eröffnung in Frage gestellt. Noch immer gibt es keine baurechtliche Genehmigung. Dabei schien die Einigung bereits greifbar. Trotz der ersten Corona-Welle trafen sich im April alle Beteiligten im Stadthaus. Der Verein verließ das Gespräch mit der Zusicherung seitens der Bau- und Denkmalbehörde im Landratsamt, eine Lösung für die vollständige Betreibung aller Etagen und die dazu nötige Behinderten-Gerechtigkeit zu finden. Bis heute folgten dem keine positiven Entscheidungen. Dabei hatte die Stadt Wurzen im geforderten zweiten Bauantrag die Nutzung des Dachgeschosses für Aufgaben des Betreibers ausdrücklich beantragt. Dennoch geht die Untere Denkmalschutzbehörde im September wieder davon aus, dass das Dachgeschoss nicht genutzt werden soll und damit Fahrstuhl und Rettungstreppe für diese Etage unnötig sind. Die Folge: Es kann nicht weiter gebaut werden, denn weder die Stadt noch der Betreiberverein stimmen dieser Nutzungseinschränkung zu.
Ein Treffen bei der Landesdenkmalpflege am 9. November fiel dem zweiten Lockdown zum Opfer. Auch zum Jahresende 2020 sieht der Joachim-Ringelnatz-Verein kein Einlenken, um Denkmalschutz und Behindertengerechtigkeit für die Betreibung des Hauses vereinbar zu machen. Wir sehen darin eine Geringschätzung der Arbeit der 130 Vereinsmitglieder, die mit enormem Einsatz ihrem kulturellen Auftrag treu bleiben.
Schon seit Februar 2019 bietet der Wurzener Ringelnatz-Verein seine Veranstaltungsreihen und Projekte in einer alten Gaststätte am Kulturhaus Schweizergartenstraße 2 an.
Veranstaltungen und Projekte wurden trotz der Corona-Einschränkungen weitergeführt, Hygiene-Konzepte umgesetzt, die ausschließlich ehrenamtliche Arbeit ins Freie verlegt. Für diese Interims-Lösung ist der Verein dem Kulturbetrieb Wurzen und der Stadt sehr dankbar.
Aber unsere vom Stadtrat an uns übertragene Aufgabe ist es, das Geburtshaus so mit Leben zu füllen, dass nicht nur das Wurzener Land einen neuen Anziehungspunkt hat, sondern Literatur- und Kunstfreunde aus ganz Deutschland deshalb nach Wurzen reisen. Das wird uns immer wieder erschwert. Wegen des Baustopps fand der RingelnatzSommer 2020 im Innenhof des Kulturhauses statt. Alle Ausstellungen und Konzerte zur Neueröffnung des Hauses fielen ersatzlos aus. Bei den Mitgliedern in ganz Deutschland stößt dies auf Unverständnis. Wir erwarten von den Denkmalschutzbehörden, dass sie sich öffnen für eine Lösung, die die Nutzung des Hauses auf allen drei Etagen, den Denkmalschutz und die Behindertengerechtigkeit verbindet. Sicher gibt es dafür in Sachsen Vorbilder, die zeigen, wie man den Denkmalwert achten und eine moderne Nutzung für alle möglich machen kann.
Unterzeichner
Dr. Viola Heß, Wurzen, Vorsitzende
Gerlind Braunsdorf, Wurzen, Stellvertreterin
sowie die Vorstandsmitglieder
Katrin Hanisch, Leipzig
Heinz Hilbert, Leipzig
André Genedl, Wurzen
Eva Maria Hänsel, Bennewitz
Harald Kretzschmar, Wurzen
Eberhard Lüderitz, Vorsitzender der Standortinitiative Wurzen & Wurzener Land e.V.
Der Joachim-Ringelnatz-Verein e.V. trägt seit längerer Zeit erheblich dazu bei, dass der Dichter und Maler Joachim Ringelnatz und damit auch seine Geburtsstadt als Ort von Literatur und Kunst bundesweit bekannt werden. Die Bedingungen, unter denen der Verein seit mehr als einem Jahr arbeiten muss, sind nicht länger hinnehmbar und müssen wie geplant verbessert werden. Als Vorstand der ebenfalls an der positiven Ausstrahlung der Stadt mitwirkenden SiW e.V. halten wir es für dringend geboten, dass nach langen Verzögerungen für die Sanierung des Hauses endlich ein tragfähiger Kompromiss gefunden wird und so die Eröffnung des Hauses zum nächsten Ringelnatz-Geburtstag am 7. August 2021 nicht länger gefährdet wird.
Alexander Wieckowski, Pfarrer, ev. Kirchgemeinde Wurzen
Ich unterzeichne diesen Offenen Brief mit meinem Namen, weil ich das Anliegen des Vereins und der Ringelnatz-Geburtsstadt voll unterstütze.
Dr. Thorsten Ahrend, Leiter des Literaturhauses Leipzig
Ringelnatz ist einer der großen deutschen Dichter des 20. Jahrhunderts; fast jedes Kind kennt Verse von ihm, manchmal ohne zu wissen, dass sie von Ringelnatz stammen. Dass ein Verein sein Vermächtnis und die Erinnerung an sein Werk wachhält, ist löblich und hat deutschlandweit Ausstrahlung. Literaturliebhaber aus ganz Deutschland und aus dem Ausland kommen nach Wurzen, um das Ringelnatzhaus zu besuchen. Es ist traurig und auf die Dauer kaum vermittelbar, dass die Veranstaltungen des Vereins nun schon seit mehr als anderthalb Jahren nicht im Wurzener Ringelnatz-Haus stattfinden dürfen, weil Denkmalsschutz und Behindertengerechtigkeit wie ein unauflösbarer Widerspruch behandelt werden. Es kann keine Option sein, Behinderte vom Besuch kultureller Veranstaltungen auszuschließen, sondern es muss sich doch ein Weg finden lassen, Fahrstuhl und Schrägen und Fluchttreppen bis in die Veranstaltungsräume im Dachgeschoss zu nutzen bzw. zu errichten, umso mehr, wenn Stadt und Verein willens sind, die Mehrkosten dafür aufzubringen.
Prof. Dr. Markus Krabbes, 1. Vorsitzender des Vereins Industriekultur e.V., Leipzig
…in Ihrem Offenen Brief beschreiben Sie das Engagement Ihres Vereins, um durch Sanierungsarbeiten am Ringelnatz-Geburtshaus ein wichtiges Baudenkmal für nachfolgende Generationen zu bewahren, wofür ich Ihnen zunächst meine höchste Wertschätzung aussprechen möchte. Dem schwierigen Ringen um ein Nutzungskonzept, das die werterhaltende Nutzung des gesamten Gebäudes ermöglicht und zugleich den denkmalbehördlichen Ansprüchen sowie den gesellschaftlichen Integrationsbedürfnissen genügt, drücke ich hiermit meine Hoffnung auf eine einvernehmliche Lösung aus. Gerade die Erfahrungen der vergangenen Jahre im Umfeld meines Vereins bei der Nutzung von Industriedenkmälern machen deutlich, dass erst möglichst flexibel ausgestaltete Konzepte für deren Betrieb eine lebendige Nutzung als Gebäude gewährleisten und damit einen unverzichtbaren Baustein für deren langfristigen Erhalt bilden.
Ich wünsche Ihnen für die bevorstehenden Gespräche mit allen an diesen Entscheidungen Beteiligten viel Geschick, Beharrlichkeit und verlässliche Fürsprecher.
Walter Christian Steinbach, Regierungspräsident a.D., Rötha
…vielen Dank für Ihren offenen Brief, vor allem aber für Ihr bedeutendes Engagement als Förderverein. Wie Sie wissen, habe ich in meiner Zeit als Regierungspräsident den Beginn der Mühen um das Ringelnatzhaus sehr unterstützt und wünsche Ihnen und den vielen Ringelnatzfreunden, dass die Konflikte zwischen Denkmalschutz und Ausstellungsbedarfen einer sinnvollen Lösung zugeführt werden können. Darüber hinaus würde ich Ihnen empfehlen, mit der Kulturstiftung Leipzig Kontakt aufzunehmen. Die Kulturstiftung Leipzig hat sich in den vergangenen 30 Jahren immer wieder sehr erfolgreich für die Entwicklung und Nutzung wertvoller Denkmalsubstanz eingesetzt. Ihrem Anliegen folgend habe ich mir erlaubt, die KSL in cc zu setzen.Wenn ich Ihnen weiter behilflich sein kann, lassen Sie es mich bitte wissen. Ich wünsche Ihnen Kraft und am Ende Erfolg, wohl wissend, dass ehrenamtliches Engagement einen unglaublich langen Atem benötigt und der Dank in aller Regel nur in der Sache selbst zu finden ist.
Prof. Dr. Ullrich Borsdorf, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der 4. Sächsischen Landesausstellung, Düsseldorf
…die Vorgänge um das Ringelnatz-Haus in Wurzen sind mehr als bedauerlich. Wenn sich eine Gemeinde Ringelnatz-Stadt nennt und sich eines Vereins mit 130 Mitgliedern erfreuen kann, die ehrenamtlich Kulturarbeit leisten, dann sollte es doch wohl möglich sein, einen Kompromiss zu finden, der allen Beteiligten und deren Interessen gerecht wird. Ich habe langjährige Erfahrungen mit der barrierefreien Umnutzung alter Industriegebäude im Ruhrgebiet (auch in Sachsen, siehe Audi-Bau der zentralen Landesausstellung). Es treten immer Probleme und Widersprüche zwischen den unterschiedlichen Anforderungen des Denkmalschutzes, der Begehbarkeit, der Sicherheit und der Barrierefreiheit auf. In den vielen Projekten, mit denen ich zu tun hatte, gab es immer eine Lösung, die mit Geduld, Kreativität und viel gutem Willen erzielt wurde. Ist es denn nicht von Interesse für die Stadt Wurzen, ein touristisch interessantes Reiseziel zu haben? Ist nicht die zahlreiche ehrenamtliche Tätigkeit von Bürgerinnen und Bürgern ein hohes Gut unserer Demokratie? Und ist es nicht angesichts der Verwerfungen zwischen Stadt und Land, von Metropolen und Peripherie, dringend geboten, Kulturangebote in der Fläche zu schaffen? Institutionen und Vereine, die sich mit Literatur befassen, sind besonders selten, regelmäßig bedroht und müssen deshalb besonders wertgeschätzt und geschützt werden. Das ist meine Erfahrung in 30 Jahren Tätigkeit als ‚Kulturarbeiter‘.
Der Joachim-Ringelnatz-Verein e.V. wurde 1992 in Wurzen (Sachsen) gegründet. Der Verein organisiert Kleinkunst, Ausstellungen, Vorträge, Lesungen und viele andere Veranstaltungen rund um Joachim Ringelnatz und dessen Geburtshaus in Wurzen sowie den alljährlichen RingelnatzSommer in Wurzen.
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