»Das Herz sitzt über dem Popo. –
Das Hirn überragt beides.«
Joachim Ringelnatz
Mein Opa saß wie üblich in seinem Sessel, welcher gerade so zwischen den Ofen und den Schrank passte. Wenigstens war es hier drinnen schön warm. Mein Bruder hatte schon seine Jacke ausgezogen und fing an, auf den Sessel zu klettern. Ich beeilte mich schnell hinterher zu kommen, allerdings saß mein Bruder schon auf dem Sessel, da war ich gerade erst auf der Armlehne angekommen.
„Mach mal Platz“, rief ich ihm zu, als ich ebenfalls versuchte hochzukommen.
„Hier oben ist kein Platz mehr!“, behauptete er.
Aber ich wäre nicht ich gewesen, wenn ich dort geblieben wäre. So begann ich, trotzdem hochzuklettern. Da ich kleiner als mein Bruder war, musste ich mich zuerst mit einem Bein auf die Schulter meines Opas stellen, um dann auf die Lehne zu kommen. Mein Bruder war ein Stück nachgerückt, sodass ich mich ebenfalls oben hinsetzen konnte.
„Rutsch mal, ich will runter“, sagte er keine zehn Sekunden später, typisch für diesen Zappelphillip.
„Nicht, ihr fallt noch gegen den Ofen“, rief meine Mutter ängstlich.
Mein Bruder kletterte natürlich trotzdem hinunter, da er sich dafür herumdrehen musste, fiel ich fast gegen den Schrank. Aber er schaffte es.
„Können wir nicht Mensch-ärgere-dich-nicht spielen?“, fragte ich meinen Opa, dieser stimmte zu. Also machte ich mich schnell an den Abstieg. „Ich nehm‘ grün!“, rief ich laut, bevor ich überhaupt beim Tisch war, denn es sollte niemand meine Glücksfarbe klauen. Mein Opa hatte sich in der Zeit aus seinem Sessel erhoben und zog einen der Holzstühle an den Tisch. Ich setzte mich auf das alte Sofa, meinen Bruder neben mir.
„Ich bin blau“, verkündete dieser.
Wir sammelten alle unsere Steine heraus, und ich schnappte mir schnell den einzigen braunen Würfel. Immerhin war dieser besser als die anderen langweiligen weißen.
So begann das Spiel.
Enden tat es mit meinem Jubel, als ich den vierten Stein kurz vor meinem Bruder ins Haus brachte, dieser ärgerte sich mal wieder zu Tode. Meine Mutter warf meinem Opa einen Blick zu. Damals hatte ich keine Ahnung, heute weiß ich, dass wir niemals gegen ihn verloren hätten.
Rosalie Anders
Der Joachim-Ringelnatz-Verein e.V. wurde 1992 in Wurzen (Sachsen) gegründet. Der Verein organisiert Kleinkunst, Ausstellungen, Vorträge, Lesungen und viele andere Veranstaltungen rund um Joachim Ringelnatz und dessen Geburtshaus in Wurzen sowie den alljährlichen RingelnatzSommer in Wurzen.
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