»Das Herz sitzt über dem Popo. –
Das Hirn überragt beides.«
Joachim Ringelnatz
Noch ist er grau, der Himmel über der Roitzscher Rietzschke. Versprochen wurden Sonnenschein und weniger Wind. Poldi, unser Kater, meckert über das regnerische und wechselhafte Herbstwetter. Poldi ist Freigänger und treibt sich gerne draußen herum. Er bringt auch gleich mal eine Maus in die Küche und fordert eine Belohnung ein. Doch heute sitzen wir gemeinsam am Küchenfenster und schauen auf das Bächlein, was zur Rietzschke hinfließt. Dieses Bächlein ist sehr mit hohen Brennnesseln zugewachsen. Ausreichend Futter für Schmetterlinge und Bienen. Poldi, wenn er dann mal draußen ist, pirscht gern durch diesen Nesselwald, markiert sein Revier und kann dort geduldig in Warteposition gehen. Worauf würde er heute warten?
Auch junge Bäume beginnen ihr Wachstum inmitten des Bächleins, so wie die große Erle, die dort bereits ihren Standort verteidigt und den Mäander schmälert.
In diesem kleinen Biotop wachsen noch ein Fliederbusch, ein Quittenbaum und drei sehr hohe Walnussbäume. Letztere erhalten heute das Interesse von uns beiden Fensterguckern, vom Poldi und von mir. Sobald ein oder mehrere Blätter von den Bäumen fallen, schaut der Kater neugierig ins Areal.
Die goldig- gelben Blätter der Walnussbäume muten an wie reife große Quitten. Doch am Quittenbaume hängen nur ganz kleine Früchte.
Die Nussbäume sind eigentlich Fremdlinge im Erlenhain. Die Quitte und der Flieder haben hier schon seit fast 60 Jahren ihre Heimat. Die Erlen wuchsen allesamt von selbst an diesem interessanten, ruhigen Orte.
Die drei Walnussbäume pflanzten vor ungefähr 4 Jahrzehnten die damaligen Pächter als Abgrenzung zur Nachbarpachtfläche. Inzwischen gibt es keine Pächter mehr und der Eigentümer, die Stadt Wurzen, lässt gelegentlich die Flächemit einem Roboter oder Minirasenmäher mähen. Ein Schafhalter aus dem Nachbardorf brachte immer mal seine Schafe zum Abweiden der Fläche. Putzige Tiere, die Försterschen Schafe. In graziler Girl-Reihe stellten sie sich auf und bettelten um Fütterung. Morgens um drei Uhr, wenn der Zeitungsbote vorfuhr, begrüßten sie ihn und verabschiedeten ihn lauthals und gebührend im Chor.
Die Walnussbäume im Erlenhain sind inzwischen zu einer wichtigen Versorgungsinstanz für Puschel und Pinselöhrchen geworden. Gelegentlich sieht man im Herbst gebückt laufende Zweibeiner unter den Nussbäumen. Sogar in den höchsten Wipfeln standen junge Erntehelfer von den Roitzscher Obstplantagen und schüttelten die Äste wie die fleißige Marie die Apfelbäume bei Frau Holle. Danach sammelten sie die heruntergefallenen Nüsse in große Taschen ein. Dieser Erlenhain mit Walnussbaumzierde ist zu einem schönen kleinen Biotop geworden. Vor einigen Jahren hatte ich das große Glück, im Februar ein Hermelin fotografieren zu können. Ganz in weiß saß es im grünen Grase. Der Winter war sehr mild.
Heute warten wir am Küchenfenster auf die flinken Vierbeiner in braun und schwarz. Warten auf Puschel und Pinselöhrchen. Beide haben einen weißen Bauch.
Ich erinnere mich noch ganz genau an jenen Moment vor 3 Jahren, im Frühjahr war es. So ohne einen ganz bestimmten Grund schaute ich aus dem Küchenfenster in die Landschaft des Erlenhains. Auf einem kurzen Stück schlängelt sich die Rietzschke, aus dem Slawischen kommend heißt es Bächlein, am Rande des Erlenhains dahin. In ihrem Uferbereich stehen die Erlen und auch im übrigen Areal.
Also zeitiges Frühjahr war´s. Ich konnte noch durch die Zweige der Bäume hindurch bis zum Nachbargrundstück hinter der Rietzschke schauen und dort die rehbraunen Schafe erkennen. Meine Blicke waren wie festgenagelt an der hohen Erle hängengeblieben, die inmitten des Bächleins steht.
Wieder und wieder huschte ein Schatten am Stamm entlang. Ich blieb geduldig. Wollte ich doch unbedingt wissen, was da los war.
Erwischt! Ein rotbraunes, flinkes Eichhörnchen sprang durch die Zweige der Bäume. Von der Erle in den Fliederbusch, von da in die Nussbäume, wieder zurück über die höchsten Wipfel der Erlen hin zu den Kopfweiden an der großen Wiese. Irgendwann saß es unter einem Nussbaum, hielt in seinen Vorderpfötchen eine Nuss und knabberte genüsslich, immer prüfend um sich schauend, an der Leckerei.
Das Treiben der flinken putzigen Hörnchen begeisterte und begeistert mich ungemein. Zudem ist es Entspannung pur. Denn, geduldig zu den Bäumen schauen und ebenso flink mit den Augen die kleinen Springer verfolgen, sie nicht aus dem Blick verlieren, das schult die innere Ruhe. Ich stellte fest, dass die kleinen Eichhörnchen so ihre Rituale und Zeiten für ihr Treiben haben. Irgendwann legte ich auch mein Handy und meine große NIKON- Kamera bereit, um meine Beobachtungen festzuhalten. Aufgrund dieser Beobachtungen erfuhr ich von den Ritualen der Nussgenießer.
Morgens um halb sieben fliegen die Beiden ein im Erlenhain. Woher sie wohl kommen?
Im Winter buddeln sie in ihren Verstecken die Schätze frei. Sie buddeln auch unterm Schnee ihre Nüsse hervor. Da sie im Winter ihre Fellfarbe nicht ändern, so wie es das Hermelin macht, das ja im Winter ganz in weiß durch die Landschaft geht, kann man sie gut erkennen.
Im Frühjahr gibt es ordentlich Krach im Erlenhain. Die Eichhörnchen schwingen sich von Wipfel zu Wipfel, um noch restliche Schätze aufzuspüren oder auch um mal in die Nester der Singvögel zu schauen. Dort stibitzen sie dann die Eier. Den Krach stimmen Eichelhäher, Amsel, Gartenrotschwanz und andere an. Sie warnen weitere Nestbesitzer vor den flinken Räubern.
Wohlbekannte Geräusche geben auch die Eichhörnchen ab. Die sagen mir dann, dass Poldi oder unsere Prinzessin Minou, ein Katzenfindelkind aus einer Leipziger Schrebergartenkolonie, im Erlenhain unterwegs sind. Die Eichkatzen nehmen sie als Feinde wahr. Jedoch sind Poldi und Minou noch nie so hoch in die Wipfel der Bäume geklettert.
Das gesamte Frühjahr, den gesamten Sommer hindurch tummeln sich die zwei Eichhörnchen im Erlenhain. Mittags kommt immer nur das schwarze. Womöglich macht das braune da gerade seinen Mittagsschlaf. Wo sich ihr Kobel befindet, habe ich noch nicht herausgefunden. Am frühen Nachmittag, so gegen halb 3 Uhr, sind sie gemeinsam unterwegs. Sie tanzen auch gern Ringelreihe um den Stamm der Erle herum. Gegen 19 Uhr verschwinden sie wieder in die Gegenrichtung. Das heißt, sie flitzen flink nach Hause. Bestimmt wohnen sie in der Parkanlage des ehemaligen Herrenhauses, was jetzt der Roitzscher Spielplatz am Eichenweg ist.
Nun warten Poldi und ich auf die Beiden, wir wollen beobachten, wie sie ihre Schätze für den bevorstehenden Winter aufsammeln. Eine Reserve habe ich schon für die beiden zurückgelegt. Die Nachbarschaft garantiert auch.
Langsam schiebt sich die Sonne durch das Himmelsgrau. Poldi hat keine Lust mehr auf den Beobachtungsposten. Jetzt drängelt er und will hinaus.
Er setzt sich unter die hohe Erle. Wartet auf Puschel und Pinselöhrchen.
Steffi Ferl
Der Joachim-Ringelnatz-Verein e.V. wurde 1992 in Wurzen (Sachsen) gegründet. Der Verein organisiert Kleinkunst, Ausstellungen, Vorträge, Lesungen und viele andere Veranstaltungen rund um Joachim Ringelnatz und dessen Geburtshaus in Wurzen sowie den alljährlichen RingelnatzSommer in Wurzen.
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